Evangelische Kirchengemeinde Zur Heimat
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8.10.2024 · 22:39 Uhr | ||
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17. Sonntag nach Trinitatis, 12.10.2014, 11.00 | Epheser 4,1–6 | |||||||||||||||||||||||||||||
Umgangsformen
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,
die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.
Amen.
Liebe Gäste, liebe Mitchristen, liebe sonntägliche Gemeinde,
Altgediente Eheleute haben begriffen,
dass Ehen nicht unbedingt an großen Konflikten scheitern,
sondern an kleinen täglichen Ärgernissen, Verletzungen und Missgriffen,
die sich irgendwann addieren und unerträglich werden können.
So ähnlich auch in Kirche und Gemeinde.
Außer in geistlichen Krisenzeiten streitet man sich
selten um große Lehr- und Bekenntnisfragen, sondern viel eher um Umgangsformen,
kleine Piekereien, gewollte und ungewollte,
um den falschen Ton, mangelnde Beachtung und derlei mehr.
Dazu sagt die gegenwärtige Kirche so gut wie nie etwas Praktisches,
vielleicht hält man alles, was dazu gesagt werden kann,
für selbstverständlich oder unwichtig.
Oder die Bischöfe oder Prediger haben Angst davor,
mit entsprechenden Hinweisen jemanden im Auditorium auf den Fuß zu treten.
Paulus hat solche Bedenken überhaupt nicht.
Er hat schließlich in seinen vielen Gemeinden nicht nur Erfolge,
sondern auch mehr als genug Schwierigkeiten gehabt,
durch Missgunst, Neid, Wankelmütigkeit und anderes Allzumenschliches.
Er weiß, dass die Umgangsformen neben anderem ein Schlüssel
für den Zusammenhalt sind.
Auch wir sollten uns nicht zu gut dafür sein, darüber nachzudenken.
Paulus gibt uns zwar keinen Kirchen-Knigge mit genauen Rezepten vor –
das ginge auch gar nicht –,
wohl aber Grundsätze, vor allem aber Begründungen dafür,
warum bei uns einiges anders zu sein hat als anderswo.
Paulus leitet ein mit dem Hinweis, dass er gefangen sei –
in Cäsarea beim Statthalter oder schon in Rom.
Er kann also nicht mehr selbst kommen.
Er drängt damit die Adressaten, seinen Brief so anzunehmen, als ob er in Person da sei.
So sollten wir es auch tun.
Auch zu uns kann er nicht mehr kommen.
Wer im Gefängnis sitzt wie Paulus,
ist auch bei freundlichem Vollzug immer der Unterlegene, immer unter Druck.
So auch draußen oft die Minderheit der Christen,
damals mehr, heute weniger, aber doch auch heute merkbar –
in Schleswig-Holstein wurde gerade der Gottesbezug aus der Verfassung gestrichen,
und die Konflikte über Kreuze in öffentlichen Gebäuden
müssten uns noch in Erinnerung sein.
Wenn Paulus jetzt bestimmte Verhaltensweisen anmahnt, dann hat er –
meine ich – immer diese Minderheitslage im Auge.
Und eine kluge Minderheit benimmt sich, seit die Welt steht, so,
dass sie keinen Anstoß erregt, sondern wo irgend möglich sogar für sich,
ihr Tun und ihr Denken, Reklame macht.
Die Verhaltensweisen, die Paulus empfiehlt,
sind also nach draußen eine Überlebenstaktik.
Motto: wir sind freundliche Leute, wir sind nicht die ewigen Besserwisser und Strippenzieher,
wir sind nicht aggressiv – Haupteindruck: wir bedrohen niemanden.
Luther übersetzt das mit „demütig“;
das klingt nach dauernd gesenktem Kopf.
Das ist aber nicht gemeint:
der griechische Ausdruck hat eher die Bedeutung „flach, unbedeutend, schwach“.
Neudeutsch könnte man sagen:
Wir halten den Ball flach, spielen uns nicht auf.
Wir wollen nicht leichtsinnig nur wegen unseres Benehmens Angriffsziel werden.
Ob unsere Kirchenoberen das heute immer so machen, lassen wir mal dahingestellt. Oft klingt mir da, z.B. in politischen Fragen, zu viel sehr unpaulinische Besserwisserei heraus. Dieses Flachhalten des Balles besagt aber nicht, dass wir nicht eiserne Grundsätze haben und diese auch vertreten. Etwas unmodern nennt man das Bekennen oder Bekenntnis. Daran darf es nicht fehlen. Aber bewusstes Provozieren – das will Paulus ausschließen.
Aber das nach draussen ist nicht das Hauptthema des Paulus.
Sein Hauptthema ist,
wie man innerhalb von Gemeinde und Kirche
miteinander umzugehen hat.
Ich fange mal mit dem Grundsatz an.
Paulus verlangt von seinen Christen, also auch von uns,
einen Lebenswandel, der unserer Berufung entspricht.
„Lebenswandel“ – also ein Gesamtverhalten –,
das unserer Berufung als Christen entspricht.
Die „Berufung“ ist unser von Gott geleiteter Entschluss,
Christ zu sein,
also Jesus nachfolgen zu wollen, seinem Vorbild nachfolgen zu wollen,
ihm ähnlich zu werden.
In den Evangelien finden wir,
wie sich Jesus verhalten hat und wie wir es daher auch tun sollten,
bis hin zur Bergpredigt in Mt. 5 ff.
Paulus definiert das hier im Brief nicht,
und ich werde mich auch hüten, hier Forderungen ans schwarze Brett zu heften.
Aber jedem von uns ist doch klar, dass das Christus Nachfolgenwollen,
das ihm Ähnlichwerden, Pflichten mit sich bringt, die man nicht so mit links erfüllt.
Es beginnt mit dem Glauben an einen Gott,
den keiner sieht –
außer in der Schrift –,
den wir keinem nachweisen können,
der erst am jüngsten Tag richtig in Erscheinung tritt,
der aber ziemlich deutliche Forderungen stellt, in den zehn Geboten,
und noch mehr in der Bergpredigt.
Dazu kommt die Nächstanliebe,
die mit dreimarkfünfzig in der Sonntagskollekte oft keineswegs abgegolten ist,
die unter Umständen Unterordnung und Selbstlosigkeit verlangt,
auch wenn Jesus nicht von jedem von uns
ein Leben wie Mutter Teresa verlangt.
Wir brauchen auch nicht alle ins Kloster zu gehen,
sondern sollen, so lehrt uns Martin Luther,
unser Ähnlichwerden mit Christus
im Getriebe und im Sturm der Welt vollbringen –
wie Jesus selbst es ja auch tat.
Insofern ist Christsein ein Bündel von Pflichten, das einen schon belasten kann, das mich manchmal ziemlich belastet, wenn ich mich so ansehe. Ohne die Gnade und Hilfe Gottes läuft das nicht, und um die muss man bitten – inhaltlich reicht dazu das Vaterunser. Und wir dürfen uns auch nicht von dem unbiblischen Gerede verführen lassen: „Christus ist für dich gestorben, du brauchst gar nichts mehr zu tun.“ Gott und Christus wollen auf ihren Ruf eine Antwort hören. Und die muss von uns kommen. Billiger geht es nicht. Und das alles unterscheidet uns von Außenstehenden, die wir ja gewinnen sollen, die aber noch den leichteren Weg gehen und nur tun, was sie selbst wollen, und allenfalls äußeren Zwängen gehorchen.
Paulus setzt alles, was wir jetzt angedacht haben, als bekannt voraus.
Als schwergeprüfter Praktiker, der Verfolgungen aller Art erleidet
und bei den meisten seiner Gemeinden immer wieder
die Maßstäbe zurechtrücken muss,
beschränkt er sich in Vers 2 auf die Mahnung:
Lebt „mit aller Demut und Sanftmut, mit Geduld
und vertraget einander in der Liebe“.
Wenn Sie das mit diesen Worten jungen Leuten sagen,
werden viele vermutlich abschalten oder den Raum verlassen.
Wir lassen dennoch selbstverständlich unsere Texte so,
wie sie sind – darauf legen wir Wert! –,
aber wir müssen sie natürlich inhaltlich herüberbringen.
Ich versuche eine Deutung des Paulusworts:
Wenn ihr in der Gemeinde Meinungsverschiedenheiten austragt, haltet den Ball flach:
Das alles hat nach Paulus nicht nur den Sinn persönliche Tugend zu fördern,
sondern soll das Einssein der Gemeinde schützen.
Das stellt Paulus über alles.
Wenn man „eins“ ist –
das ist mehr als das Verbale „einig“ –,
kann keiner die Gemeinde spalten,
wird Feindseligkeit innerhalb des Kreises vermieden
und man streitet nicht aus persönlichem Ärger bloß um des Streits willen,
was ja menschlich durchaus vorkommt,
aber bei uns eben nicht vorkommen darf.
Und Paulus gibt auch eine Begründung:
Seid ein Leib und ein Geist;
denn ihr habt eine einzige und für alle gleichartige Berufung,
nämlich Christus nachzueifern,
Ihr habt eine Taufe, sozusagen als gleichwertige Eintrittskarte,
und ihr habt einen Glauben –
da gibt es nichts zu streiten und keinen Anlass,
sich auseinanderzudividieren – sollte man meinen.
Der Diskussionsgegner in der Gemeinde ist daher nicht irgendjemand,
sondern er ist Christi Eigentum,
wie ich auch, und wenn ich ihn verschrecke und er geht,
habe ich Christi Eigentum verletzt
und nicht nur einen Menschen verärgert.
Das sollte man sich klarmachen.
Die Kirche ist eben nicht dasselbe, wie jeder weltliche Verein –
ob Heimatverein, politische Partei, Berufsverband und was auch immer.
Dort ist es nicht daneben, wenn ich versuche mich durchzusetzen,
z.B. beim Wettbewerb um Ämter, und den Rivalen an die Wand zu spielen.
Dabei sollte der Christ allerdings auch dort in der Wahl seiner Mittel zeigen,
wo er herkommt.
In der Kirche sind solche Spiele zwar nicht verboten,
aber jedenfalls nur mit äußerstem Fingerspitzengefühl zu betreiben.
Immer dann, wenn hier die Formen des Wettbewerbs oder auch eine Amtsführung
oder ein anderes Verhalten – wessen auch immer –
das Einssein aufs Spiel setzen,
haben die Beteiligten an diese Paulus-Stelle zu denken und sich entsprechend einzurichten.
Wir haben eben nach unserer Berufung –
ich weiß, ein großes Wort –
in vielem anders zu sein als die draußen:
Das Einssein der Gemeinde ist das große Ziele des Paulus,
aus den Gründen, die wir eben bedacht haben,
das auch deswegen, weil ein freundliches Klima, freundliche Menschen
und das – hoffentlich –
absolute Fehlen des Zwangs,
sich dauernd zu produzieren und dauernd in Konkurrenz zu stehen,
auf Außenstehende einladend wirkt.
Und diese, sage ich mal, missionarische Wirkung
ist ja eigentlich unsere Hauptaufgabe –
oft dazu „Gegensätze zu überkleistern“,
Widerspruch oder Widerstand auszuschalten
und die Kirche auf bestimmte weltliche Interessen auszurichten.
Man müsse „Streitigkeiten aushalten“.
Das kommt aus der marxistischen 68er Ecke und ist, obwohl im Prinzip richtig,
mit viel Vorsicht zu genießen.
Jeder wirklich tiefgehende Ehestreit – wieder als Beispiel – kann,
vielleicht durch einen Satz oder ein Wort, zu bleibender Feindseligkeit führen,
auch wenn die nicht gleich in Erscheinung tritt.
Es kracht dann beim nächsten oder übernächsten Mal.
So auch in jeder großen Gemeinschaft.
Da sich andererseits auch großer Streit
nicht selten mit dem Zeitablauf verflüchtigt,
sollte man Konflikte erstmal nicht künstlich aufblasen,
also nicht gleich „Streit aushalten“,
sondern das Feuer austreten, solange es klein ist.
Dazu gehört es natürlich,
berechtigten Unzufriedenheiten möglichst gleich Rechnung zu tragen.
Das „Einssein“ ist zu wichtig.
Nur wenn das alles völlig unmöglich ist,
wird man Streitigkeiten durchstehen müssen.
In der evangelischen Kirche des 19. Jahrhunderts gab es einen solchen Fall –
nachzulesen in den sehr lesenswerten Schriften von Johann Hinrich Wichern
(„Notstände der Ev. Kirche“,
Nachdruck in den 50er Jahren),
der sich auch, anders als die meisten kirchlichen Leute,
ausführlich mit dem Marxismus
und den gesellschaftlichen Zuständen seiner Zeit auseinandersetzt.
Die evangelische Kirche, deren Gemeinden damals, um 1840–1850,
noch mächtige gesellschaftliche Kräfte waren,
begriff in ihrer Mehrheit nicht,
dass die erbärmliche Lage der neuen Arbeiterklasse mehr verlangte
als gelegentliche Kollekten oder einzelne Hilfsprojekte.
Dies reichte umso weniger, als die Kirche nicht mehr in der Lage war,
die verarmten Unterschichten in die Kirche zu integrieren.
Die kamen nicht mehr in die Bürgerkirchen.
Johann Hinrich Wichern hat – ich verkürze das mal –
wie ein Löwe und lange dafür kämpfen müssen,
institutionalisierte Sozialarbeit für die Ärmsten
mit christlicher Unterweisung zu verbinden
und konnte dafür schließlich
die Gründung der Inneren Mission
als dauernder kirchlicher Einrichtung durchsetzen.
Das war ein Objekt, für das es sich auch mit Gegnern in der Kirche
hart zu streiten lohnte.
Bei Themen unterhalb dieser Größenordnung, meine ich,
sollte man genau hinsehen, ehe man „in den Krieg“ zieht.
In den Krieg hineinzukommen und erstmal „Streit auszuhalten“ ist leicht.
Wieder herauszukommen kann ein Generationenproblem werden.
Liebe Schwestern und Brüder, das war ein Versuch,
aus dem scheinbar zweitrangigen Paulustext Zeitgemäßes herauszuholen.
Möge unser Herr uns die Erkenntnis geben,
dass wir nicht uns selbst,
sondern sein Eigentum zu verwalten haben
und dass auch unsere Umgangsformen drinnen und draußen
eine Werbung für das Reich Gottes sein müssen.
Amen.
Peter Erkelenz
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