Evangelische Kirchengemeinde Zur Heimat
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8.10.2024 · 22:48 Uhr | ||
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Altjahrsabend, 31.12.2012, 18.00 | Johannes 8,31–36 | |||||||||||||||||||||
bleiben
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Dies ist der Abend des Innehaltens, liebe Gemeinde:
Weil – willkürlich festgelegt – heute die Jahreszählung
weitergestellt wird, bleibt die Zeit für einen Moment stehen.
Im Schritt nach vorn, in ein neues Jahr,
ein kleiner Schritt von vielen kleinen Schritten nur, für sich unerheblich,
gewichtig nur durch das Überschreiten einer imaginären Grenze,
bleibt die Zeit uns stehen: Rückblick auf das, was war,
was wir zurücklassen, Abschied,
was wir loslassen können, Entlastung.
Gleichzeitig ein Neuanfang voller Hoffnung,
unberührt, noch unverdorben liegt das neue vor uns.
Wo liegen die Ängste: Dass sich nichts ändert, doch alles bleibt?
Oder doch die Ungewissheit, was wohl werden soll,
die Gewissheit, der Zeit neuen Tribut zollen zu müssen,
womöglich manch endgültigen?
Der Zauber und der ganze Zinnober dieser Nacht
liegen in dieser Unsicherheit: Was ist es denn nun, Anfang oder Ende?
Gemahnung an unsere Endlichkeit, wieder ein Stück,
oder doch verheißungsvoll trotz allem noch einmal, wieder,
einen Anfang zu haben?
Freiräumen vom Schutt des alten Jahres
oder doch fest zu halten suchen, was wir nun endgültig
hinter uns lassen müssen?
Die Jugend feiert ihre Zukunft, ihre Chancen.
Uns Älteren befällt im Wechsel der Jahreszählung
eine gewisse Melancholie über verpasste Chancen
und wir wissen nur zu gut, dass die nicht wieder kommen, nie.
Was zählt in dieser Besinnung auf Gewesenes,
was zählt und nehmen wir deshalb möglichst mit?
Was bleibt? Oder zerrinnt uns doch zwischen den Fingern?
„Bleiben“ ist der Kern des Jesuswortes heute Abend.
Vielleicht ist das ganze Johannesevangelium
um dieses Wort herum geschrieben worden: Bleiben.
Darum kämpft Johannes: Bleibt hier, bleibt dabei, geht nicht weg!
Weil genau diese Frage stand: Lohnt sich der Glaube?
Fahren wir nicht besser ohne? Was bringt es?
so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.
Dranbleiben, dabeibleiben, nicht gehen.
Keine Beliebigkeit, mal hier, mal da,
aus allem seinen Honig saugen, mitnehmen, was wertvoll scheint
oder doch wenigsten ein bisschen Balsam sein kann für die Seele.
Johannes lässt Jesus in seiner Rede inständig werben,
schreibt das auf in einer Zeit, in der das Bleiben teuer war,
keine Verdienstmedaillen einbrachte, sonder Ärger, gar Gefahr.
In der die Kosten-Nutzen-Rechnung des Glaubens
nicht mehr aufging: angesichts der Gefährdungen
ist der Ertrag mäßig,
angesichts der auf der Hand liegenden Befürchtungen
wiegt die Hoffnung leicht, sehr leicht.
Welches Argument wirft Jesus in den Ring,
in dem die Richtungsentscheidung ausgefochten wird?
Freiheit!
Jesus verspricht die große Freiheit.
Freiheit ist das Geschenk des Glaubens für das neue Jahr.
Setzt die Freiheit nicht aufs Spiel!
Dem Zusammenhang von Bleiben am Wort, Wahrheit und Freiheit
müssen wir noch ein wenig nachspüren,
um so gewappnet ins neue Jahr gehen zu können
und aus dem alten heraus.
„Bleiben“ heißt nicht nur einfach da bleiben,
die Mitgenossen des Glaubens nicht im Stich lassen,
die Gemeinde, die Kirche noch irgendwie mit zu tragen.
Am Wort blieben heißt: Hier meine Bleibe zu haben,
hier Zuhause und Halt zu bekommen,
von hier als dem Mittelpunkt meines Lebens bestimmt zu sein.
Heißt damit auch: Nicht mehr um mein Menschen-Ich zu kreisen,
daran alles zu messen, an Seelenheil und Menschenglück,
an Anerkennung und Ehrerbietung, von denen ich zehre,
die mir die Bestätigung geben, die ich brauche.
Darum nicht mehr zu kreisen, weil ich das alles schon habe:
Ich bin ihm recht – was kann dann noch passieren?
Worüber soll ich mich dann noch sorgen?
Was habe ich noch zu gewinnen?
Am Wort bleiben heißt ihm zu glauben:
zu glauben, dass ich schon alles habe,
mir niemand das nehmen kann und ich mehr gar nicht wollen kann.
Diese Mitteilung, wer wir sind, dieses Aufgehobensein in seinem Urteil,
an dem alles andere abprallt,
gibt einen nüchternen neuen Blick frei: auf die Welt um uns,
ihre Verhältnisse, ihre Zwänge,
ihre erpresserischen Versuche, uns ihren Mechanismen
zu unterwerfen.
Es wird alles durchschaubar: Es kann uns nichts mehr anhaben.
Die Geister und Dämonen, die heute Nacht mit viel Lärm
vertrieben werden sollen, sind uns schon lange
ihrer Macht über uns entkleidet.
Der Glaube ist eben gerade keine Vernebelung
der Zusammenhänge dieser Welt,
keine Beweihräucherung der bestehenden Verhältnisse,
kein Schönreden und „es ist alles halb so schlimm“,
schon gar keine Vertröstung auf irgendwann und Jenseits.
Glaube ist, weil er ohne die Zerrbrille der Sorge um uns selbst
die Dinge nüchtern in den Blick nimmt
und ihren Zwängen auf die Spur kommt,
wahrhaftiger als aller sich wissenschaftlich gebender Materialismus.
Glaube ist Realismus
und lässt die Wahrheit sehen – eine Wahrheit,
die mehr ist als ein bloßes Abbild –
wie ein gemaltes Bild ein Gesicht getreuer wiedergeben kann
als ein nacktes Foto.
Die Wahrheit, in die der Glaube führt, ist Ernüchterung
unter Einbeziehung der Chancen, die die Dinge jeweils haben.
Der Glaube verbindet Klarheit und Sinnhaftigkeit: das ist Wahrheit,
das, was eigentlich zählt.
Wie daraus Freiheit entsteht? Warum Wahrheit frei macht?
Weil dann alles geschehen kann:
Dieses Bleiben im Kern erlaubt Veränderung, ja ermöglicht sie.
Weil mich Gewissheit trägt, weil ich in ihm eine Bleibe habe,
kann ich verändern, Neues wagen.
Weil mein Lebenserfolg nicht über meinen Lebenssinn entscheidet,
bin ich davon völlig unabhängig.
Weil ich in ihm, in seinem Wort bleiben kann, wirklich dort,
glaube ich nicht blind, muss ich nicht fanatisch sein
und mich hinter unverstandenen Formeln verbarrikadieren.
Wer nur Lehrwahrheiten nachspricht, hat in Wahrheit nichts zu sagen.
Dieses Bleiben des Glaubens lähmt nicht, ganz im Gegenteil:
macht Veränderung möglich und mich damit frei.
Dieses Bleiben ist kein Rückzug, sondern gerade ein Entdecken,
ist nicht defensiv, sondern bewusstes Einbringen.
Ein berühmter Satz: „Es bleibt alles anders“.
Der christliche Glaube ist mutig, nicht feige:
Keine Angst vor einem neuen Jahr! Warum auch?
Wir sind nicht allein.
Kein verzweifeltes Festhalten an dem, was uns entschwindet!
Getrost loslassen können, er bringt alles wieder.
Keine Melancholie und Klage über all die Vergänglichkeit!
Mit ihm in die Zukunft, das ist sein Land.
Da treffen wir die Jugend, können mit ihr feiern, sie mit uns.
Der christliche Glaube wagt Veränderungen,
weil er weiß, dass es auf ihn und nicht auf uns ankommt,
weil er sich keinen Zwängen beugen muss
und all den Ängsten ins Gesicht lachen kann:
Es kann uns niemand wirklich etwas anhaben.
Es lohnt sich also doch an seinem Wort zu bleiben:
Es lässt die Wahrheit erkennen,
eine Wahrheit, die nicht ablesbar ist,
deshalb zum Wiederholen des immer Gleichen führt,
sondern die unsere Füße auf weiten, sehr weiten Raum stellt.
Auf weitem Raum weht der Atem der Freiheit:
Etwas tun, verändern, verbessern zu können,
ohne unser Bleiben zu gefährden, im Gegenteil:
Durch die Veränderungen die die Freiheit bewirkt,
das Bleiben-Dürfen noch einmal zu verstärken.
Ich wünsche Ihnen allen an diesem Übergang in eine neue Zeit
mit Jesus diese drei zusammenhängenden Dinge:
Wünsche Ihnen, dass Sie sich nicht nur an das Jahr des Herrn 2013
gewöhnen, sondern sich darauf freuen.
Gott segne Sie!
Amen.
Pfarrer Hartmut Scheel
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