Evangelische Kirchengemeinde Zur Heimat
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28.5.2023 · 19:13 Uhr | ||
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1. Sonntag nach Epiphanias, 13.1.2013, 11.00 | Johannes 1,29–34 | |||||||||||||||
Das Lamm
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Wir sind hier in der Kirche Zur Heimat ganz offensichtlich
Johannes dem Täufer verpflichtet, liebe Gemeinde:
Am Ende der Reihe von Geschichten der hebräischen Bibel,
unseres Alten Testamentes, steht er
und zeigt mit ausgestrecktem Finger – ja, wohin?
Als Täufer auf das Taufbecken – das liegt nahe?
Auf das Kreuz Jesu – draußen im Wald, uns vorangestellt
wie ein fernes Ziel, das nie aus den Augen kommen darf?
Oder doch einfach nur in den Altarraum –
dort geschieht, worauf es den alten Zeugen ankam,
dort bekommt im Gottesdienst die Gemeinde ihre tragende Mitte,
dort ergeht das Wort und der Segen?
In der Sakristei, bei den Kindern, hängt das Original dieses Johannes:
Eine Kopie des Isenheimer Altars mit dem Täufer,
der mit dem überlangen Zeiger auf den Gekreuzigten zeigt:
Er ist es!
Er ist es, Jesus von Nazareth. Auf ihn zeigt Johannes,
und weiß warum.
Der andere Johannes, Evangelist von Berufung,
braucht keine Weihnachtsgeschichte, um Jesus einzuführen,
keine Volkszählung und Krippe, keine Hirten und Engel,
auch keine weitgereisten Weisen auf der Spur der Sterne.
Johannes setzt mit dem großen Kontrast ein,
von dem auch unsere Weihnachtslieder leben:
„Den aller Weltkreis nie beschloss …“,
„Das ewig Licht geht da herein …“,
„Der Sohn des Vaters, Gott von Art,
ein Gast in der Welt hier ward …“
(Luther in
EG 23,3.4 und 5)
Das alles begründende Wort, die alles verändernde Idee,
der Kern und Sinn und die Quelle des Lebens
in einer sich lebensfeindlich, einander das Lebensrecht abgrabenden
Welt des Überlebenskampfes jeder gegen jeden –
das sinnstiftende Wort im zerstörerischen Chaos
bekommt menschliche Gestalt.
Schon bei Matthäus und Lukas,
die unsere bekannten Weihnachtsgeschichten erzählen,
kommt dieser Kontrast vor: eine vom Engel angekündigte Geburt.
Und erst durch den Engel auf dem Feld
wird aus der erbärmlichen Armeleutegeschichte
mit dem Neugeborenen, das in einer Futterkrippe landet, mehr.
Johannes setzt mit dem großen Erstaunen ein:
„Das Wort, dass alles umfassende, wurde Fleisch
und wohnte unter uns …“
ganz einfach, als gehöre es dazu, wäre einer von uns,
zum Anfassen, zum Reden,
mit dem man und frau sich befassen können.
Ein Mensch wie du und ich, ganz normal.
Aber es ist nicht normal: Hier begegnet Gott,
mischt sich unter Menschen, mischt sich ein in unser Gemenge.
Es bleibt nicht bei dem Normalen: Es leuchtet in ihm etwas auf,
was nicht dazugehört, was alles verändert,
was all das in einem neuen Licht erscheinen lässt:
„und wir sahen seine Herrlichkeit!“
Vor ein paar Jahren ein Telefonat mit meiner jüngsten Enkeltochter,
sie war mit der Familie im Urlaub: „Opa, da sind Schafe!
Da ist auch ein Lämmchen bei.“ –
„Und was machst du mit dem Schäfchen?“ –
„Opa, Schäfchen kann man essen.“ –
„Aber Schäfchen sind doch erst einmal zum Streicheln da,
die sind doch so niedlich.“ –
„Aber Opa, Schäfchen kann man essen!“
Sie war davon nicht abzubringen.
Ich habe dann meine Tochter gefragt, was das denn
für eine Erziehung sei,
alles gleich auf seine Verwertbarkeit anzusehen?
Es wäre halt gerade ihr Thema, was sie denn da essen,
und ihre Entdeckung, Wurst und Fleisch kommt von Tieren,
und Schafe wären doch auch Tiere.
Das Lamm ist in der sonstigen Nutzung der Schafherde
erst einmal überzählig und deshalb das geborene Opfer,
die Muttertiere geben viel mehr Wolle,
nur gelegentlich muss nachgezogen werden.
Eh sie ernsthaft die Herde belasten, wenn sie selbst Futter brauchen
und nicht mehr Muttermilch trinken, werden sie geschlachtet.
Bei der Wildschweinjagd, habe ich gelernt, werden mit Bedacht
die Frischlinge geschossen,
nicht die Bachen, die für Ordnung sorgen.
Das Lamm, ach so niedlich, ist zum Verzehr, zum Verbrauch bestimmt,
da hatte meine Enkeltochter völlig recht.
Gott unter uns, seine Herrlichkeit,
und wem fiele damals nicht die Vision des Jesaja ein,
der himmlische Thronsaal, Licht, donnernde Stimme,
die um ihn schwebenden, singenden Engel.
Seine Herrlichkeit: Ein Lamm? Ein Lämmchen?
Das Lamm Gottes ist erst einmal eine Provokation,
wie der Gekreuzigte in einer Götterwelt
eine unerhörte Provokation ist, das geht nicht, das geht gar nicht!
Noch der Koran schafft sich diesen Skandal vom Hals,
indem er Jesus durch eine Verwechslung davonkommen lässt,
die Esoterik und die Illuminaten leben von dieser Idee.
Gott und Lämmer, das geht nicht zusammen.
Gott ist nur Gott, wenn er großartig ist, beherrschend, allmächtig.
Was sollen wir mit einem Gott, dessen Herrlichkeit
sich wie ein Lamm zeigt? Jämmerlich!
Das „Lamm“ taucht bei Johannes nur noch einmal auf,
am nächsten Tag gleich, dasselbe noch einmal:
„Siehe, das ist Gottes Lamm!“
Dann verschwindet dieser Aspekt des Jesusbildes.
Es sei denn, man findet es im Hintergrund:
Bei den anderen drei Evangelisten ist das letzte Mahl Jesu
das Passahmahl: Es gibt eben Lammbraten, dazu Brot und Wein.
Johannes in seiner Darstellung der Ereignisse
ändert das ganze Zeitschema: Jesus stirbt zu dem Zeitpunkt,
als die Lämmer für das Mahl im Tempel erst geschlachtet werden.
Sozusagen noch einmal ein Hinweis: Jesus ist das Lamm,
ohne dass das noch einmal gesagt werden muss.
Eine starke Hintergrundsymbolik.
Nicht unbedingt das Lamm als Bild,
aber dieser Kontrast gehört zum Grundbestand des Glaubens:
Gott erfüllt mit seinem Kommen alle Erwartungen,
aber er erfüllt sie anders, ganz anders:
Wo Gott gewaltig erwartet wird, kommt er sanft –
sanftmütig und reitend auf einem Esel.
Wo Gott umwerfend erhofft wird, kommt er werbend.
Wo Gott mächtig sein soll, kommt er hilflos.
Wo Gott triumphierend kommen soll, die anderen beschämend,
kommt er und lässt sich kreuzigen.
Kein Wunder, dass sich die Frommen wie die Mächtigen
verächtlich abwenden: Was soll uns das helfen?
Wo sollen wir da mit Verehrung hin? Davor auf die Knie?
Die Erkenntnis des Glaubens aber ist:
Ja, gerade so geht es. Vielleicht in Wahrheit nur so!
Versöhnung ist mit Rechthaberei nicht zu erreichen.
Versöhnung geht nicht mit Demütigung einher,
sondern geschieht auf Augenhöhe.
Versöhnung geschieht nur dort, wo alle Waffen gestreckt werden,
wo mir jemand wehrlos gegenüber tritt.
Versöhnung kommt mit einer Bitte: „Lass dich auf mich ein!“,
nicht mit Zwang und Überwältigung.
Das ist etwas, was wir immer noch lernen müssen –
von Gott lernen müssen.
„Gottes Sohn ist Mensch geborn, ist Mensch geborn,
hat versöhnt des Vaters Zorn, des Vaters Zorn.“
Auch das finden wir im Gesangbuch (unter der Nummer 29 als Kehrvers).
Und das ist falsch – uralt, bewährt, gern gesungen, aber: falsch!
Man kann ideengeschichtlich gut zurückverfolgen, woher das kommt,
aber es ist ein Irrtum.
Es ist nicht so, dass sich Gott mit Jesus auf unsere Seite begibt
und als Lamm dann das Opfer, das er von uns erwartet,
selbst darbringt: Gott will und muss irgendwie Blut sehen.
Jesus würde versöhnen, indem er Gott besänftigt. Das ist falsch.
Es ist umgekehrt: Gott versöhnt, indem er uns besänftigt!
Es ist das mit Schuld und Sünde nämlich viel verzwickter.
Es ist ja so, dass der Schuldige und die Schuldige
sich dann ja auch noch verteidigen will
und selbst zum Angriff übergeht.
Das ist ein Grundmechanismus der Sünde:
Die Schuld sucht die Schuld beim anderen. Ablenkungsmanöver.
Es ist so, dass der und die eigentlich Beleidigte, Beschädigte
den Schritt zur Versöhnung tun muss, auf den „Bösen“ zugehen.
Es ist so, dass der und die, die Versöhnung wollen,
sich wehrlos machen und mit Wehrlosigkeit überzeugen,
dazu einladen, sich darauf einzulassen,
die Ebene des Kampfes, des Streites zu verlassen
und das Friedensangebot anzunehmen.
Jede Begrüßung ist ein Friedensangebot: Indem ich die Hand reiche,
zeige ich, dass ich keine Waffe brauche, wenn ich dir begegne.
Das wehrlose Lamm, das Opfer von vornherein,
ist die ausgestreckte, offen Hand Gottes, ist seine Einladung,
uns auf ihn einzulassen, uns versöhnen zu lassen mit Gott.
Jesus selbst, so wie er ist und wie er sich gegeben hat, damals,
mit all seinen Geschichten, ist die ausgestreckte Hand Gottes,
sein Versöhnungsangebot.
Das Lamm ist, so wie es ist: als Lamm, Gottes Sohn,
gehört zu Gott, ist Gott in Person unter uns, sichtbar: Wir sahen,
wir sehen in ihm die Herrlichkeit Gottes,
die so, genau so und nicht anders aussieht.
Amen.
Pfarrer Hartmut Scheel
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